Hundertzwanzig Kerzen

Hundertzwanzig Kerzen müssten eigentlich auf dem Doppelgeburtstagskuchen brennen: Die «Freunde der Oper Zürich» und das «Internationale Opernstudio» feiern 2021 ihr 60jähriges Bestehen. Und zwar je! Macht – rein rechnerisch gesehen – 120 Jahre. Es soll hier jedoch nicht um Zahlenspielereien gehen. Es geht vielmehr um Leidenschaft, es geht um Engagement, um Hingabe, um Begeisterung, Enthusiasmus... Sowohl auf der Bühne, im Graben wie auch im Saal. Und das, wie gesagt, seit 1961.

Damals wurde nämlich Herbert Graf als Direktor ans Opernhaus Zürich, damals noch Stadttheater genannt, verpflichtet. Er, der zuvor an der New Yorker Met gewirkt hatte, wünschte sich nach dem dortigen Vorbild eine dem Opernhaus angegliederte praxisnahe Ausbildungsstätte für junge Bühnenkünstlerinnen und -künstler. Und gleichzeitig einen Verein von Opernliebhabern, die dieses Studio, aber auch weitere Aktivitäten des Hauses ideell und finanziell unterstützen sollten. Aus dieser Idee heraus wurden das IOS und die damalige «Gesellschaft zur Förderung der Zürcher Oper» gegründet.

Seit sechs Jahrzehnten nun hat sich dieses Gespann bestens bewährt. Immer wieder hat sich die Gesellschaft, die sich später kürzer und griffiger als «Freunde der Oper Zürich» bezeichnete, für die Belange des hiesigen Opernschaffens engagiert.

  • Eine besondere Beziehung verbindet die Opernfreunde mit dem IOS. So wurden in diesen sechzig Jahren über 7,6 Mio Franken in Form von Betriebsbeiträgen und Stipendien an das Studio überwiesen. Ein Patensystem wurde ins Leben gerufen, bei dem sich Gotte oder Götti mit persönlichem Engagement um Studierende, die aus aller Welt nach Zürich kommen kümmern, um ihnen Leben und Alltag hierzulande etwas zu erleichtern. Und ihnen mitunter auch helvetische Besonderheiten zu erklären. Neben Benefizkonzerten und Jubiläen zum 25. und zum 40. Bestehen des Studios , unterstützten die Opernfreude in der schwierigen Phase der Pandemie unter dem Titel «Curtain Call» Masterclasses mit anschliessenden halbszenischen Auftritten auf der grossen Bühne, die anschliessend für das zwar abwesende, aber zahlreiche Publikum gestreamt wurden.
  • Auch für die Oper selbst sind die Opernfreunde stets ein verlässlicher Partner. So wurden für ausserordentliche Projekte immer wieder zusätzliche Gelder beschafft – in all den Jahren die stolze Summe von 17 Mio Franken. Mal wurden spezielle Barockinstrumente für den epochalen Monteverdi-Zyklus finanziert. Mal wurden aussergewöhnliche Inszenierungsideen, aufwändige Bühnenbilder oder Kostüme ermöglicht, als jüngstes Beispiel die Jacht mit der die «Csárdásfürstin» in See bzw. auf die Bühne stach. Auch bei der Vergabe von Kompositionsaufträgen, beispielsweise an Heinrich Sutermeister oder Rudolf Kelterborn, zeigten sich die Opernfreude spendabel. Lange bevor Public Viewing in aller Munde war, realisierten man die Freilicht-Übertragung einer «Tosca»-Aufführung am Zürichhorn und im «Park im Gruene». Und unlängst halfen die Freunde mit ihrer Unterstützung bei der Errichtung der modernen Glasfaserleitung zur“Soundübertragung von nebenan“ aus dem Orchesterproberaum am Kreuzplatz in den pandemiebedingt leeren Orchestergraben.
  • Die Freunde der Zürcher Oper sind eine melomane Grossfamilie. Oper war und ist seit sie um 1600 in Florenz erfunden wurde auch ein gesellschaftliches Ereignis. Das ist in Zürich nicht anders, wie ein paar Beispiele aus dem «Vereinsleben» belegen: Als Lisa della Casa anlässlich ihres 30jährigen Bühnenjubiläums die Marschallin aus dem Rosenkavalier sang, durfte die Gesellschaft die grosse Künstlerin bei einem Empfang feiern. Auch das Traumpaar Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew durfte man nach einem Schwanensee persönlich gratulieren. Unzählige Künstlergespräche unter dem Patronat der Opernfreude erlaubten spannende Begegnungen mit den bejubelten Opernstars. Auch Probenbesuche und Sonderveranstaltungen schufen eine besondere Nähe zwischen den Freunden und ihrer Oper Unvergesslich auch die sogenannte «Ausräuki» vor dem Umbau des Hauses: jener legendäre Barbieremit Agnes Baltsa, Francisco Araiza und Bruno Pola, dem ein rauschendes Fest bis in die frühen Morgenstunden folgte. Und schliesslich gehören dazu auch die glamourösen alljährlichen Opernbälle, , die bald zu einem gesellschaftlichen Höhepunkt der Limmatstadt worden.
  • Selbst im Spannungsfeld der Politik profilierten sich die Opernfreunde. Wenn es um Abstimmungen um und für das Opernhaus ging, zeigte man Flagge. Bereits 1960 fanden erste Diskussionen mit den Behörden zur Frage eines Theaterneubaus statt. Mit Inseraten unterstützten die Opernfreude das Projekt und diesbezügliche Vorarbeiten. Virulent wurde das Unterfangen dann 1980, als man sich zwar von einem Neubau verabschiedet hatte, aber eine grundlegende Sanierung des Altbaus und den Abbruch des Bernhardtheaters an der Urne absegnen lassen sollte. Die Vorlage wurde angenommen, gleichzeitig aber brachen die turbulenten Opernhauskrawalle los, welche die Stadt über Monate in Atem hielten. Friedlicher, wenn auch nicht weniger harzig vollzog sich 1984 die von den Opernfreunden und der Direktion immer wieder geforderte Trennung der Orchesterformation in zwei selbstständige Klangkörper für die Tonhalle und das Opernhaus. Und ein bisher letztes Mal engagierten die die Freunde in der Lokalpolitik, als es um die erfolgreiche Kantonalisierung des Hauses ging.

Premieren, Uraufführungen gehen vorüber, Beifall und Buh verhallen, Intendanten, Regisseurinnen, Stars wechseln, das Internationale Opernstudio und die «Freunde der Oper Zürich» bleiben. Zum Jubiläum haben wir eine buchstäblich viel-seitige Publikation geschaffen. Als sozusagen gegenseitiges Geburtstagsgeschenk für alle, die Oper mögen. Und alle, die Oper machen. Denn Oper macht nicht nur das Opernhaus mit seinen zahllosen Mitwirkenden. Oper machen auch Sie, liebe Opernfreunde– mit Ihrer Leidenschaft, mit Ihrem Engagement, Ihrer Hingabe, Ihrer Begeisterung, Ihrem Enthusiasmus... Womit wir wieder beim Anfang wären – und das mit Sicherheit für viele weitere Jahrzehnte!

Bruno Rauch, freischaffender Kulturjournalist, Sachbuchautor und Regisseur
Frühling 2021